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Weihnachten; ein Fest – tausend Gefühle

Aktualisiert: 25. Dez. 2021

Mein allererstes Weihnachtsfest, an welches ich mich wirklich erinnern kann, ist eine Feier bei meiner Tante. Ein Fest zu welchem wir uns alle versammelten. Mama, Papa, Oma und Opa mütterlicherseits, meine Tante und mein Patenonkel, meine Patentante und meine Cousine – alle waren wir da. Es gab ein grosses Hallo, es wurde umarmt und alle begrüssten sich freudig.

Die Wartezeit bis zur grossen Bescherung kam uns Kindern damals vor wie eine halbe Ewigkeit. Die Erwachsenen wollten zuerst reden, dann essen und schliesslich noch mehr reden :-).

Aber endlich war es so weit und die Geschenke durften ausgepackt werden.


Meine Cousine und ich waren uns einig. Jeweils die andere hatte das tollere Geschenk bekommen und so fingen wir an zu streiten, wer jetzt mit welchem Spielzeug spielen durfte. Das war der Abend, an dem unsere Familien beschlossen, uns künftig das gleiche zu schenken, einfach in einer anderen Farbe. Ich muss heute noch lachen, wenn ich daran denke, was für «Sorgen» wir damals hatten.

In den folgenden Jahren war die Anspannung zu Hause sehr gross. Bereits Tage vor dem 24. Dezember hörte ich wie meine Eltern sich oft stritten. Es ging um Geld und darum bei wem nun gefeiert würde. Auch ging es um etwas, was ich nicht ganz verstand. Auf jeden Fall etwas was Mama tat und das Papa unglücklich machte. Weihnachten begann sich für mich radikal zu verändern. Als ich dann etwa 8 Jahre alt war, feierten wir zum letzten Mal Weihnachten zusammen. Ein Tag, ein Abend, den ich nie vergessen werde. Es begann schon am frühen Morgen mit schlechter Laune bei beiden und ich fühlte wie die Atmosphäre unter grosser Spannung stand. Bis zum späten Nachmittag kam keine festliche Stimmung auf.


Papa beschloss dann, mit mir in den Wald zu gehen und – wir hatten die Erlaubnis – dort einen Christbaum zu holen.

Es war ein richtiges Abenteuer! Wir streiften durch den Wald und als mir ein Baum besonders gefiel und auch von der Grösse her in Ordnung war, sägte Papa ihn ab und wir schleiften ihn zum Auto, wo wir ihn in den Kofferraum hievten. Zu Hause angekommen war die Welt aber immer noch nicht in Ordnung gekommen. Der Baum war aufgestellt jedoch noch ungeschmückt. Mama in der Küche war völlig gestresst und stand irgendwie neben sich. Ich wollte helfen, den Abend besser zu machen und so fragte ich Mama ob es in Ordnung wäre, wenn ich damit beginnen würde, den Baum zu schmücke. Ich wäre ja jetzt alt genug und wisse ja auch, dass es nicht das Christkind war, welches die Kugeln und das Lametta brächten. Zu meinem Erstaunen sagte Mama «Ja». Die Kisten mit dem Baumschmuck wurden geholt und für mich hingestellt. Mit viel Sorgfalt schmückte ich den Baum was das Zeug hielt. Ich glaube er war

aus heutiger Sicht, etwas überschmückt. :-)

Als ich fertig war, half Papa mir, die Christbaumspitze aufzusetzen und fertig war das Werk. Ich erhoffte mir, dass nun ein toller Abend folgen würde. Wir waren ja nur zu dritt. Mama, Papa und ich.

Leider kam es anders, meine Eltern stritten weiter und Mama fielen immer wieder fast die Augen zu. All meine Bemühungen, die Situation zu beruhigen schlugen fehl und so endete der Abend in einem für mich mehr als schlimmen Desaster.

Alle waren traurig oder wütend. Die Fotos, die an diesem Abend gemacht wurden, fast alle habe ich gemacht, sind auch heute noch schwer anzuschauen. Ich sehe die Leere in Mamas Augen, und die Verzweiflung in denen von Papas. Heute weiss ich, es war das Heroin, das sich wie ein böser Geist zwischen die grosse Liebe, die wir alle füreinander empfanden, geschlichen hatte.


Ich erinnere mich noch, wie ich an diesem Abend traurig ins Bett gegangen war und lange nicht einschlafen konnte, weil meine Eltern noch lange stritten, sich anschrien und zum Schluss weinten. Von da an, war Weihnachten nicht mehr dasselbe. Es war nicht mehr die Zeit im Jahr auf welche ich mich bereits Monate zuvor freute und die Tage mit «noch so und sovielmal schlafen bis…» zählte. Es war viel mehr die Jahreszeit, vor der ich Angst hatte, dass es ganz viel Streit und Tränen geben würde.


Als die Scheidung kam und ich mit Mama allein wohnte, wurde es noch schwieriger, denn ihre Heroinsucht wurde stärker und das Geld knapper und knapper. Sie war im Zwiespalt. Sie konnte beides nicht stillen, nicht ihre Sucht und nicht ihr Verlangen, mir ein schönes Weihnachtsfest zu bescheren. Eines Abends, kurz vor Heiligabend gingen wir nach einem Besuch im «Drogenhaus» wo Mama sich etwas Stoff besorgte, an einer Migros vorbei. Damals liessen die Läden viele Gartenwaren über Nacht draussen stehen, ohne Gitter oder Schlösser. Mama sah einen winzigen krummen, eingetopfte Christbaum. Sie meinte, den wird sowieso keiner kaufen, komm wir nehmen ihn mit und feiern jedes Jahr mit ihm Weihnachten. Es war lustig wie wir diesen Topf nach Hause bugsierten und auch das Schmücken war toll. Nur… Papa fehlte. Er fehlte überall und an Heiligabend immer am meisten.


Als ich nach einigen Jahren zu Pflegeeltern kam, weil Mamas Sucht nach dem Heroin einfach zu stark war, kam ich in eine streng religiöse Familie. Dort lernte ich sehr viel über die christliche Religion, viel mehr als im Religionsunterricht. Auch wenn ich bis heute nicht mit allem einverstanden bin, das sie verkündeten. Sie lebten ihren Glauben an jedem einzelnen Tag. Und so bekam Weihnachten für mich eine neue Bedeutung. Die, welche ursprünglich ja der Grund zum Fest ist, Jesus Geburt. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb begann ich, Weihnachten erneut nicht mehr zu mögen. Denn dieser Jesus, der ja alle Menschen liebte, wie mir gesagt wurde, schien meine Mutter nicht zu lieben, denn er liess meine

Mama mit Ihrer Sucht ja ganz offensichtlich allein.


Dann war ich 16, machte eine Ausbildung und war für mein Leben allein verantwortlich. Ich stand also schon sehr früh auf eigenen Beinen und Weihnachten verlor seine Bedeutung. Ich machte nur die nötigen Pflichtbesuche bei Oma und der Mutter meines damaligen Freundes. Jedes Jahr war ich froh, wenn es wieder vorbei war. Doch mit 25 fasste ich einen Entschluss. Weihnachten soll wieder schön sein! Ein Fest der Liebe und vor allem eine Zeit der Besinnlichkeit und nicht der Trauer und Wehmut über eine verlorene Familie welche dem Heroin zum Opfer fiel.


Ich tat also was ich seit dem Migros-Topfchristbaum-Klau nicht mehr tat. Ich schlenderte beim Migros Turbenthal durch die Baumauswahl, liess mich nicht hetzen vom ganzen Weihnachtstrubel und kaufte mir, den für mich schönsten Baum. Kaufte Baumschmuck, bestellte im Internet eine wunderschöne Baumspitze und besorgte für mich selbst Geschenke, welche ich mir verpackt unter den selbst geschmückten Baum legte. Ich kaufte mir mein Lieblingsessen und auch für meine Katzen gab es ein speziell feines Futter mit «Guddeli». Ich hörte «Hallelujah» von Jeff Buckley und sang mit. «Joy to the World» dröhnte es laut aus den Lautsprechern und als die Kerzen am Baum brannten, packte ich meine Geschenke aus. Ich war glücklich und doch auch traurig. Ich dachte an Mama und an Papa, erinnerte mich an unsere Weihnachten und beschloss, in Erinnerung an die guten Zeiten und aus Dankbarkeit, dass es diese gab, nun jedes Jahr für mich Weihnachten zu feiern. In den folgenden Jahren wurde es zur Tradition. Und auch als ich einmal sehr wenig Geld hatte, bescherte ich mir ein Fest. Es gab Wienerli mit Kartoffelsalat und zum ersten Mal feierte ich nicht allein. Denn auf dem Nachhauseweg von meinem Einkauf, begegnete ich einer jungen Frau. Sie war traurig und nach einem kurzen Wortwechsel erfuhr ich, dass sie im Heim für geistig Beeinträchtigte lebte und ihre Familie sie zu Weihnachten nicht besuchte. Nach einem kurzen Telefonat mit dem Heimleiter durfte ich sie mit zu mir nehmen. Wir teilten die Wienerli und den Kartoffelsalat. Eines meiner Geschenke (einen kleinen Panetone) gab ich ihr, damit sie auch etwas hatte, das sie auspacken konnte. Sie strahlte. Wir verbrachten einen großartigen Abend und als sie ging, sagte eine leise Stimme in mir. «Das Michelle, das ist Weihnachten».

Seither habe ich mit Weihnachten Frieden geschlossen. Das Fest darf kommen! <3


Michelle Halbheer


Autorin des Buches «Platzspitzbaby» und Mitbegründerin des Verein «Löwenzahnkinder» der sich für Kinder aus suchtbelasteten Familien einsetzt.




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