Es weihnachtet. Zumindest in meinem gemütlichen Wohnzimmer.
Die brennenden Kerzen und die Lichterketten schenken dem Raum eine warme und gemütliche Atmosphäre.
Damit die Atmosphäre für mich perfekt wird darf natürlich meine Räuchermischung nicht fehlen. Behutsam zünde ich die Kerze an, und lege etwas Arvenholz auf das Sieb.
Ein kleines duftendes Rauchwölkchen wirbelt sanft durch den Raum und erwärmt mein Herz.
Mit einer Tasse Tee und kitschiger Weihnachtsmusik setze ich mich an meinen Schreibtisch und beginne zu schreiben.
Während ich am schreiben bin, höre ich im Hintergrund mein Lieblingslied «Last Christmas» von «Wham» an .
Ich weiss, die meisten Leute können das Lied nicht mehr hören. Doch es ist so ein unglaublich tolles Lied.
Bei diesem Lied muss ich aufstehen, die Musik lauter aufdrehen, dazu durch den Raum tanzen und lauthals mitsingen:
Last Christmas I gave you my heart
But the very next day you gave it away
This year, to save me from tears
I'll give it to someone special... sing sing sing.....
Weihnachtsstimmung ahoi.
Doch in der momentanen Situation kommt bei den meisten von uns die Weihnachtsstimmung nicht zum Vorschein.
Die Menschen fühlen sich gestresst, sind psychisch angeschlagen und fühlen sich einsam.
Die Massnahmen, welche der Bundesrat, bezüglich dem Virus getroffen hat nur in einem kleinem Rahmen Weihnachten zu feiern, macht es nicht einfacher.
Wir alle sind langsam müde, sehnen uns nach Nähe und sozialem Kontakt.
Für mich war es auch kein einfaches Jahr.
Die ständige Unsicherheit von Monat zu Monat, ob ich nun arbeiten darf oder nicht. Existenzängste und der ständige Stress wie es weiter geht.
Trotzdem sage ich mir immer wieder: Jasmin, du hast alles was du benötigst zum Leben. Du besitzt materielle Dinge, welche als purer Luxus bezeichnet werden können und nicht wirklich lebensnotwendig sind. Ein warmes Zuhause, genügend zu Essen und die tollsten Freunde die man sich nur wünschen kann. Hier eine kurze Liebeserklärung an meine wunderbaren Freunde: Ich liebe Euch, Danke dass es euch gibt!!
Ihr seht, ich habe wirklich alles was ich brauche und bin unendlich dankbar dafür.
Immer wieder denke ich an die Menschen, welche wenig bis gar nichts haben.
Obdachlose Menschen, die sich ein warmes Zuhause wünschen.
Kinder aus suchtbelastenden Familien, die glücklich wären, wenn an Weihnachten einen Christbaum im Wohnzimmer steht.
Kinder die häusliche Gewalt erleben müssen und hoffen, dass Weihnachten ruhig und harmonisch werden.
Diese Menschen haben es nicht leicht in unserem System ihren Platz zu finden.
Mit der jetzigen Situation ist es für sie noch schwieriger als es sonst schon war.
Die häusliche Gewalt hat leider zugenommen.
Die Jugendtreffs dürfen nur noch beschränkt Jugendliche empfangen.
Diverse Weihnachtsfeier für sozialschwache Menschen fanden nicht statt.
All diese Dinge sind so wertvoll und wichtig! Wichtige soziale Kontakte die durch die Situation minimiert wurden und fehlen.
Durch meine Geschichte ist für mich die diesjährige Weihnachten nicht anders oder spezieller als die letzten Jahre. Im Gegenteil, dieses Jahr feiere ich nach drei Jahren nicht alleine, sondern gemeinsam mit Freunden.
Ich freue mich sogar auf Weihnachten und habe meinen eigenen Zauber darin gefunden. Was lange Zeit für mich nicht selbstverständlich war. Den oft waren meine Weihnachten mit Enttäuschungen, Wut, Trauer und Stress verbunden.
Enttäuscht darüber, wenn genügend Geld für Drogen da war, jedoch nicht für einen Weihnachtsbaum.
Wütend, dass an Weihnachten nicht auf den Konsum von Drogen verzichtet wurde.
Traurig, dass wir nicht die Weihnachten feiern konnte so wie wir es kannten, bevor unsere Eltern Drogen konsumierten. Es waren immer Weihnachten voller Zauber und Magie.
Der Stress begann erst als ich Erwachsen wurde. Damals fühlte ich mich dazu verpflichtet meinen Geschwistern schöne Weihnachten zu schenken.
Ich wollte, dass meine Geschwister sich später an eine schöne Weihnacht erinnern. Sie vom guten Essen, von den Geschenken und dem Weihnachtsbaum erzählen können.
All dies war für uns nicht selbstverständlich.
Mit meinem kleinen Lehrlingslohn kaufte ich den Weihnachtsbaum, die Geschenke und das Essen ein. Es war für mich jedes Jahr ein enormer Druck und einen grosser Stress. Ich hatte immer das Gefühl, dass es mir am besten geht und ich somit für meine Familie verantwortlich bin.
,,Meine dies jährigen Weihnachten mit der lieben Tania und meiner Katze Lea,,
Irgendwann begann ich mich von meiner Familie zu distanzieren.
So kam es dazu, dass ich vor 3 Jahren das erste mal alleine Weihnachten feierte.
Freunde und Verwandte luden mich zu Weihnachten ein damit ich nicht alleine sein musste. Doch ich wollte mit niemanden Weihnachten feiern. Ich wollte für mich alleine sein und das tun was mir gut tat.
Trotz all den Tränen und etwas Selbstmitleid, waren es für mich nach langem die schönsten und erholsamsten Weihnachten.
Ich hatte keinen Stress und keine innere Unruhe mehr. Ich musste mir nicht den Kopf darüber zerbrechen ob es einen gemütlichen und drogenfreien Abend würde.
Als ich das erste mal alleine Weihnachten feierte liess ich es mir richtig gut gehen. Zum Abendessen gab es selbstgemachte Pizza, dazu Salat und zum Nachtisch Vanilleeis mit ganz viel heisser Schokoladensauce. Ein hoch auf die Schokoladensauce!
Romantisch musste es natürlich auch noch sein. So verwandelte ich meine Wohnung in ein Lichtermeer voller Kerzen.
Ich kuschelte mich auf das Sofa und schaute mir die Spielfilme «Kevin allein zuhause» und anschliessend «Kevin allein in New York» an.
Seit meiner Kindheit ist dies an Weihnachten mein Programm, mein Ritual.
Auch dieses Jahr ist es erneut Pflicht genau diese Filme zu geniessen.
Natürlich habe auch ich meine Tiefpunkte während der Weihnachtszeit und das ist in Ordnung. Doch habe ich in den letzten Jahren meinen Weg gefunden wie ich damit umgehe kann. Gelernt meinen inneren Frieden zu finden.
Es gibt ein sehr gutes Zitat von Bob Marley welches ich gerne mit euch teilen möchte:
„Wenn dir etwas nicht gefällt, ändere es. Wenn du es nicht ändern kannst, ändere deine Einstellung dazu. Beklag dich nicht.“
Heute als erwachsene Frau kann ich die Weihnachtszeit geniessen, jeder Zeit das tun was mir gut tut. Für die Kinder wird dies etwas schwieriger. Denn sie benötigen unserer Schutz und Liebe. Wir Erwachsenen können jederzeit fliehen. Sei es mit Arbeit, Konsum von Drogen oder mit einem Kurzurlaub. Die Kinder müssen die Situation aushalten. Sie können nicht fliehen. Sie müssen stark bleiben und das beste aus der jeweiliger Situation machen.
Nun möchte ich euch eine Geschichte erzählen, die meine drei Jahre jüngere Schwester und ich erlebt haben. Immer um die Weihnachtszeit schwirrt mir diese Geschichte in meinem Kopf herum.
Gemeinsam mit meiner Schwester verbrachten wir Weihnachten bei unserer Mutter.
Meine Schwester war damals neun und ich zwölf Jahre jung.
In diesem Jahr konnten wir uns einen Weihnachtsbaum leisten, welchen wir gemeinsam und liebevoll dekorierten. Unter dem Weihnachtsbaum legten wir unsere selbstgemachten Geschenke hin.
Meine Mutter war gut gelaunt. Sie sang in der Küche vor sich hin, während sie für uns ein leckeres Abendessen zubereitete. Das Geld reichte sogar für einen Nachtisch, was bei unserer Mutter nicht selbstverständlich war.
Die Stimmung war schön alles schien an diesen Weihnachten perfekt zu sein.
Naja, bis zum Nachtisch schien alles perfekt zu sein.
Während dem Essen des Puddings «Tam Tams», fiel uns das merkwürdige Verhalten unserer Mutter auf.
Sie sass auf dem Stuhl und versuchte einen Joint zu drehen. Dabei lallte sie wirres Zeug vor sich hin und nickte immer wieder ein.
Im ersten Moment machten wir uns keine grossen Gedanken darüber und schauten unser Spielfilm weiter.
Als dann unsere Mutter beinahe vom Stuhl fiel, begannen wir uns zu fragen was genau mit ihr los war? Was hatte sie wohl genommen? Heroin konnte es nicht sein, da unsere Mutter das Heroin nur noch über die Nase schnupfte und der Flash ganz anders war als beim Spritzen. Alkohol konnte es auch nicht sein.
Es waren die sogenannten Rohypnol. Ein Medikament, welches in den 90er Jahren sehr gerne von den Ärzten verschrieben wurden.
Nach der Einnahme sollte man eigentlich sofort schlafen gehen. Ansonsten geschehen Dinge an welche man sich am nächsten Tag nicht mehr erinnern kann.
Der Anblick unserer Mutter war für uns kaum zu ertragen. Wir wurden wütend und waren enttäuscht. Weshalb konnte unsere Mutter nicht darauf verzichten? Nur für einen Tag?
Die ganze Situation war uns zu viel. Wir wollten fliehen, konnten aber nicht.
Deshalb machten wir aus dieser Situation ein Spiel.
Gespannt schauten wir ihr zu, wie sie während dem Drehen des Joints immer mehr einnickte. Kurz bevor sie mit dem Oberkörper nach vorn fiel schrie ich: «Achtung Mami».
Sie erschrak sich dabei so fest, dass die ganze Rauchmischung zu Boden fiel.
Meine Schwester und ich kriegten uns fast nicht mehr ein vor lauter Lachen. Meine Mutter fand unsere Aktion überhaupt nicht lustig. Im Gegenteil, sie wurde wütend. Sie schrie uns an: «Geht’s noch gut bei euch!». «Ich bin müde und bloss für einen kurzen Moment eingeschlafen».
So begann sie nochmals von Anfang an und drehte sich nochmals einen Joint.
Neugierig schauten wir ihr zu und scherzten darüber ob sie es wohl dieses mal schaffen würde oder nicht. Doch bereits nach wenigen Minuten nickte sie wieder erneut ein und kippte immer mehr nach vorn.
Dieses Mal überliess ich den Spass meiner Schwester und gab ihr ein Zeichen wann sie schreien sollte. Ich schaute meine Schwester an und gab ihr ein Handzeichen wann sie schreien sollte. Jetzt!
Zack! Meine Mutter warf ihre Hände in die Höhe und die Mischung fiel erneut zu Boden.
Ziel erreicht!Leider haben wir uns zu früh gefreut, denn sie ging nicht ins Bett.
Unsere erhoffte Ruhe bekamen wir nicht.
Meine Mutter wurde laut und gab uns die Schuld, dass ihre Rauchmischung überall verstreut war.
Wir Kinder waren wütend auf unsere Mutter und schrieen sie an sie solle endlich zu Bett gehen.
Unsere Mutter stand auf, lief zur Küche und murmelte noch Dinge vor sich hin. Wir wären undankbar und würden es nicht schätzen, dass sie für uns Geld ausgegeben hätte.
Nach wenigen Minuten schauten wir in der Küche nach unserer Mutter.
Sie sass auf dem Küchenstuhl und versuchte nochmals einen Joint zu drehen. Wir konnten ihr dabei zusehen wie sie immer mehr und mehr mit dem Oberkörper nach vorne kippte.
Dieses mal war Teamarbeit angesagt. Meine Schwester und ich schrien laut zusammen: « Achtung Mami!»
Halleluja! Die dritte Mischung fiel zu Boden.
Tatsächlich hatte sie es in einer Stunde geschafft, drei Rauchmischungen auf den Boden zu verstreuen.
Wir schrien: « Geh endlich schlafen! Wir wollen unsere Ruhe.»
Unsere Mutter stand wütend auf, lief zu ihrem Schlafzimmer und knallte die Türe hinter sich zu.
Meine Schwester und ich schauten uns an und waren für einen kurzen Moment sprachlos. Nach der kurzen Stille fragten wir uns: Haben wir uns falsch verhalten? Waren wir böse zu unserer Mutter? Schliesslich hatte sie uns bekocht und auch noch einen Weihnachtsbaum gekauft. Sollten wir nicht dankbar dafür sein?
Obwohl unsere Mama nun in ihrem Bett war, hatten wir das Bedürfnis nach draussen zu gehen. Wir brauchten frische Luft.
Warm angezogen liefen wir durch das verschneite Quartier. Immer wieder blieben wir stehen und schauten in die Wohnzimmer verschiedener Familien. Wie sie Weihnachten feierten, sah immer so schön und gemütlich aus. Sehnsüchtig beobachteten wir ganze Familien, wie sie vor einem riesigen Weihnachtsbaum standen, lachten oder Weihnachtslieder sangen.
Dies zu sehen, tat in unserem Herzen sehr weh. Wir hätten uns am liebsten dazu gesetzt, um für
einen kleinen Moment alles zu vergessen.
Irgendwann blieb meine kleine Schwester stehen und sagte diese Worte zu mir. Jasmin, wenn wir einmal gross sind werden wir nicht den gleichen Fehler begehen wie unsere Eltern. Wir werden unsere eigene Familie haben und gemeinsam die schönsten Weihnachten feiern. Weihnachten so wie wir es uns immer gewünscht haben...
Ich wünsche euch fröhliche Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Alles Liebe Jasmin
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